Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Niedersachsen

Geschichten aus der Ukraine finden ihren Weg nach Friesland

Interview mit Natalia Vershkow

Natalia Vershko hätte nicht gedacht, dass sie ihren Beruf als Journalistin auch in Deutschland ausüben könnte. Die Sprachbarriere erschien ihr zu hoch – und doch hat es geklappt. Die 33-Jährige kommt aus Winnyzja, das 270 Kilometer südlich von Kiew liegt. Seit März lebt sie im friesischen Wangerland. Cornelia Lüers, Redaktionsleiterin beim Jeverschen Wochenblatt, erfuhr von der jungen Frau und bat ihr zunächst eine Hospitanz in der Redaktion an. Mittlerweile wurde Vershko sogar als Redakteurin in Teilzeit fest angestellt. „Ich habe den Job nicht gefunden, der Job hat mich gefunden“, sagt sie. Unsere Geschäftsführerin Christiane Eickmann hat Vershko interviewt. In der Ausgabe Januar 2023 des Magazins "Nordspitze" kommen weitere ukrainische  Journalist*innen, die zurzeit in Norddeutschland leben, zu Wort.

Was bedeutet es in der gegenwärtigen Situation, als ukrainische Journalistin in Deutschland zu arbeiten? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Journalisten spielen im Krieg eine wichtige Rolle. Sie informieren über die Folgen der russischen Aggression. Dank ihrer Arbeit wächst die Zahl der Menschen, die das wahre Wesen des Krieges verstehen jeden Tag.  Ich kann in dieser Situation in Deutschland nur die Arbeit meiner Kollegen stärken, indem ich Nachrichten über die Ukraine und die Ukrainer als eine Person, die die Mentalität der Ukrainer gut versteht, weiterverbreite. Meine größte Herausforderung die Sprachbarriere ist. Ich möchte schwierige politische Themen ansprechen, aber bisher ist es praktisch unmöglich. Ich muss mich auf einfache Notizen und Texte beschränken. Das ist deprimierend.

Was waren die Schwerpunkte Ihrer eigenen journalistischen Arbeit vor dem Krieg?
Ich habe hauptsächlich über regionale Politik berichtet, vor allem darüber, ob Politiker ihre Wahlversprechen erfüllen. Ein weiteres Spezialgebiet meiner journalistischen Arbeit war Medizin. Ich habe Interviews mit Ärzten verschiedener Fachrichtungen zu aktuellen Themen geführt. Auch über Pressetermine, die in der Stadt oder Region stattfanden, habe ich natürlich auch berichtet.

Wenn Sie sich bereits länger in Deutschland aufhalten: Wie nehmen Sie die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine in den hiesigen Medien wahr?
2014 hat sich die Berichterstattung über den Konflikt in Deutschland und der Ukraine noch stark unterschieden. Die Deutschen glaubten mehr an mehrere Perspektiven. Heute kann ich sagen, dass 80 Prozent der Informationen, die in der Ukraine ausgestrahlt werden, auch hier gesendet werden. Allerdings werden in der Ukraine mehr persönliche Geschichten von Menschen erzählt, die die Besatzung, Gefangenschaft oder auch Folter überlebt haben.  Auch gibt es mehr Berichte über die gegenseitige Hilfe der Menschen vor Ort. Diese Informationslücke versuche ich zu schließen, indem ich im Jeverschen Wochenblatt Geschichten von Ukrainern erzähle, die von dem Krieg geflohen sind.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich speziell von ihren Kolleginnen und Kollegen in Deutschland?
Ukrainische Flüchtlinge befinden sich aufgrund fehlender Deutschkenntnisse in einem gewissen Informationsvakuum. Einerseits lesen sie ständig Nachrichten über die Ukraine, andererseits haben sie keine Ahnung, was vor ihrer Nase in Deutschland passiert. Ich schreibe gerade viele Artikel über persönliche Erlebnisse von Ukrainern und ich bin überzeugt, dass diese gerne von Flüchtlingen gelesen würden, aber natürlich auf Ukrainisch, weil sie Deutsch noch nicht beherrschen. Darum denke ich über ein deutsch-ukrainisches Projekt nach, das nicht nur deutsche, sondern auch ukrainische Leser und Leserinnen über die Region und Veranstaltungen informiert. Das kann ich aber natürlich nicht allein. Es wäre großartig, die Unterstützung anderer Journalisten dafür zu gewinnen.

Wie einfach/schwierig, war es für Sie eine Arbeit als Journalistin in Deutschland zu finden?
Ich hätte ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass ich in Deutschland als Journalistin arbeiten könnte. Es ist eine Sache, ausreichend Deutsch zu lernen, um beispielsweise Kunden in einem Geschäft oder Restaurant zu bedienen, und eine ganz andere, Artikel für eine Zeitung in einer Fremdsprache zu schreiben. Im Journalismus sollte genau formuliert werden - aber von welcher Genauigkeit können wir sprechen, wenn ich nicht alles verstehen kann?
Ich habe nicht an meine Fähigkeiten geglaubt und ich muss zugeben, ich zweifle immer noch an mir. Ohne meine Kollegen von der Zeitung, die mich nicht nur in ihr Team, sondern auch in ihre Obhut genommen haben, hätte ich mich zumindest in diesem Jahr kaum auf die Suche nach einer Stelle gemacht. Ich kann sagen, dass ich den Job nicht gefunden habe, aber der Job hat mich gefunden. Die Redaktionsleiterin Cornelia Lüers hat herausgefunden, dass eine Journalistin aus der Ukraine nach Wangerland gekommen ist. Sie kam zu mir, um mit mir zu reden, und am zweiten Tag traf ich mich mit den Mitarbeitern der Zeitung.

Planen Sie eine Rückkehr in die Ukraine, sobald dies möglich ist, oder richten Sie sich auf einen längeren Aufenthalt im Ausland ein?
Das ist eine der schwierigsten Fragen, die ich häufig bekomme. Alles wird von der Entwicklung der Ereignisse in der Ukraine abhängen. Mein Mann  arbeitet als Kameramann für die Streitkräfte der Ukraine. Er könnte die Ukraine erst nach Kriegsende verlassen. Ich bin hier, weil ich Angst habe, dass die Front vielleicht noch meine Stadt erreicht und ich dann meine Eltern nach Deutschland holen kann. Außerdem können meine Verwandten jeden Moment obdachlos werden und dann kann ich ihnen helfen. Ich habe einen Arbeitsvertrag für ein Jahr unterschrieben, er läuft im Juni aus, bis dahin plane ich in Deutschland zu bleiben.

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